BIK-BITV / BIK-Web-Test

Testverfahren zur Prüfung der Barrierefeiheit von Webanwendungen anhand der Kriterien der WCAG 2.1, EN 301 549 und BITV 2.0
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9.1.3.1a HTML-Strukturelemente für Überschriften: Mehrdeutiger Satz #435

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mfranzke commented 2 months ago

Der Satz "Für die Brauchbarkeit von Überschriften kommt es allerdings nicht darauf an, dass eine h1 an oberster Stelle steht." (wir interpretieren die "oberste Stelle" als erstes Überschriften-Element in der DOM-Reihenfolge) ließe sich auf zwei Arten interpretieren:

Es mag auch sein, das beide Interpretationsmöglichkeiten akzeptiert sind. Wenn wiederum nur eine der beiden gültig sein sollte, würden wir eine Überarbeitung vorschlagen.

https://github.com/BIK-BITV/BIK-Web-Test/blob/863eac1cced8f52c224491664e4a20d12cca3fbd/Pr%C3%BCfschritte/de/9.1.3.1a%20HTML-Strukturelemente%20f%C3%BCr%20%C3%9Cberschriften.adoc?plain=1#L225-L226

johannesFischer84 commented 2 months ago

Der zweite Punkt (oberste Überschrift nicht unbedingt eine <h1>) ist auf jeden Fall WCAG-konform, siehe Technik H42, Example 2.

Dass gar keine <h1> vorhanden ist, ist nicht perfekt. Die WCAG scheinen mir aber den Beginn mit <h1> nicht streng vorzuschreiben. Daher ist meine Interpretation, dass die Überschriften-Auszeichnung immer noch konform nach WCAG sein kann, wenn keine <h1> vorhanden ist.

MarcHaunschild commented 2 months ago

Wenn wir uns darauf einigen, das Fehlen einer h1 nicht abzuwerten und das Auslassen von Ebenen nicht abzuwerten, bedeutet das, wir können in Bezug auf Überschriften gar nichts mehr nach objektiven Kriterien abwerten.

In meinen Augen ergibt sich die Antwort auf die Frage "bestanden oder nicht?" aus dem normativen Text des SC selbst und nicht aus irgendeinem informativen Teil der Understanding-Dokumente.

Normativ heißt es im Original:

"Information, structure, and relationships conveyed through presentation can be programmatically determined or are available in text."

Zu prüfen und zu bewerten ist deshalb nur eine einzige Sache: Wie sieht es aus? Und wird das, wonach es aussieht identisch an Software vermittelt?

Das bedeutet dann vor allem eines: wenn oben in einem Dokument ein Text in riesigen Lettern steht, dann werden Sehende das als Überschrift erster Ordnung wahrnehmen. Immer.

Und genau das muss zwingend auch programmatisch ermittelbar hinterlegt werden.

Selbst TPGI sieht das zwar anders als ich, sie haben aber keine Begründung, nur eine Meinung, die ich für leicht widerlegbar halte und der sie selbst im weiteren Verlauf widersprechen.

Gerade wenn wir davon reden, dass alle dasselbe Nutzererlebnis haben müssen und das nur programmatisch ermittelbar sein muss, was für Sehende durch Präsentation vermittelt wird, würde das natürlich auch bedeuten, dass wir nicht abwerten dürfen, wenn die Überschriftenstruktur visuell uneindeutig ist. Es gibt keine Pflicht, exklusiv für Blinde ein sauberes Dokument aufzubereiten und alle anderen gucken in die Röhre.

Man darf ja auch keine Struktur für Hilfsmittel fordern, wenn Sehende diese keine erkennen können - hier sind TPGI und ich uns einig.

TPGI ist genau an dieser Stelle in der Argumentation widersprüchlich. Sie verlangen einerseits, dass man kein fail geben darf, wenn Sehende keine Struktur vorfinden, andererseits verlangen sie aber auch kein fail zu geben, wenn Sehende sehr wohl eine Struktur vorfinden und die sehen eben keine ausgelassenen Ebenen.

Mir kann niemand weismachen, dass er nach einer h2 die nächste Ebene als h5 erkennt. Visuell wird hier nach der h2 eine h3 wahrgenommen. Immer. Ohne Ausnahme. Und nur das gehört ins HTML und alles andere ist ein fail. Wobei ich hier bei Einzelfällen und wenn insgesamt eine Logik, ein nachvollziehbares Konzept erkennbar ist, einen großzügigen Gebrauch von "eher erfüllt" als Bewertung empfehle und das selber auch so mache.

Aber: Die Absicht des SC ist ganz klar, dass Sehenden und Blinden dieselbe Struktur kommuniziert werden muss.

stefanFarnetani commented 2 months ago

@MarcHaunschild Ich verstehe, was du bebrütest, wenn wir da nicht streng sind. Ich bin jedoch nicht deiner Meinung und pflichte @johannesFischer84 bei.

Es geht darum, dass die Überschriftenhiearchie nachvollziehbar ist und die Beziehungen des Inhalts zueinander abbildet (info and relation). Verhält es sich so, dass ein Inhaltsblock ein Unterabschnitt zu einem anderen ist. Dabei ist es egal, ob die Struktur lehrbuchartig mit einer H1 beginnt und keine Ebenen auslässt. Zum Beispiel:

Oder aus irgendwelchen Gründen anders begonnen wurde, aber die Struktur in sich logisch und nachvollziehbar ist.

oder sogar Ebenen ausgelassen werden:

In mehreren Gesprächen mit blinden Nutzerinnen habe ich für mich feststellen können, dass blinde Nutzerinnen nicht nur keine Probleme damit haben, sondern oft auch kein gesteigerter Wert auf "formale" Korrektheit legen. Die logische Beziehung zueinander ist fundamental wichtig um Inhalte zu interpretieren. Das ist wichtig, das muss sein und diese Realtionen müssen stimmen. Dass Ebenen manchmal übersprungen werden, ist hingegen vielen gar nicht aufgefallen oder hielten es nicht für wichtig. Ich gebe meine Erfahrungen aus Gesprächen wieder, das ist nicht allgemein gültig. Aber es deckt sich, mit dem, was in der WCAG steht (relationship) und dem was auch andere Experten weltweit aussagen.

Dennoch merke ich in Form einer Empfehlung in jeden Bericht an, dass eine formal richtige Überschrift, die mit einer H1 beginnt, nur eine H1 aufweist und keine Ebenen überspringt auf jeden Fall besser ist. Aber wenn diese drei Aspekte nicht umgesetzt wurden, ist nicht automatisch ein Fehler. Ich betrachte mir dabei die logische Struktur und überprüfe, ob sie zu den Inhalten passt.

Meine persönliche Erfahrung ist, dass viele Anforderungen nicht immer zu einem leicht messbaren "Ja" oder "Nein" führen. Nutzerinnen handeln eher nach einer Art Fuzzy-Logik. Das ist meiner Meinung nach in den WCAG-Prüfschritten oft berücksichtigt. Vielleicht nicht immer bewusst, aber durch viele Diskussionen. Wir versuchen klar messbare Regeln zu etablieren. Das ist wichtig und wir brauchen das. So wie wir auch diese Diskussionen benötigen. Meiner Meinung nach schießen wir in manchen Bereichen schießen über das Ziel. Das wird so nicht in der WCAG gefordert und es ist aus Sicht der Nutzerinnen kein Problem.

P.S. Das ist übrigens etwas, was ein automatischer Test nicht gut leisten kann. Aktuell muss man das manuell prüfen: entspricht die Struktur und die Beziehungen der Überschriften zueinander dem Inhalt. Vielleicht kann uns da irgendwann eine KI unterstützen. Wobei das noch etwas dauern wird.

MarcHaunschild commented 2 months ago

Vielleicht haben wir die Nutzerinnen nur erzogen, sich so zu verhalten. Ich persönlich nutze im Screenreader auch nur die Möglichkeit zur nächsten Überschrift zu springen und nicht zu einer Überschrift einer bestimmten Ordnung. Aber ich nutze ihn ja auch nur gelegentlich, meist zum Testen und bin außerdem nicht blind. Was wäre aber, wenn alle Webseiten perfekt ausgezeichnet wären? Würden dann mehr Nutzerinnen die obersten Ebenen zuerst durchgehen, um sich erst mal einen Überblick zu verschaffen? Wir reden oft über Henne-Ei-Probleme. Das ist so eines. Nur weil die Nutzerinnen es heute nicht machen, können wir nicht sagen, wie sie Webseiten nutzen, wenn das verlässlich auf allen Seiten funktioniert. Da hilft auch das Gespräch mit Nutzerinenn nicht, die sich an den heutigen miserablen Zustand von Webseiten gewöhnt und darauf ein Verhalten aus Workarounds und Vermeidungsstrategien aufgebaut haben, mit dem sie irgendwie zurecht kommen.

Mein Beitrag von gestern klingt sehr streng. Ich war schon müde und ich wollte ihn nicht dreimal durchlesen vor dem Abschicken. Heute würde ich ihn umgänglicher formulieren.

Mich hat es einfach gestört, dass behauptet wird, die WCAG erlaubt das Auslassen. Meiner Meinung nach kann man das nicht rauslesen. Was visuell vermittelt wird, ist dass aufeinanderfolgende Überschriftenebenen angeboten werden. Dass da welche fehlen, kann kein Mensch sehen. Streng genommen müssten die dann auch entsprechend ausgezeichnet sein.

Ich denke aber wir brauchen die WCAG hier nicht wortwörtlich befolgen. Unsere bisherige Prüfpraxis ist da glaube ich einheitlich. Ich habe ja am Ende meines letzten Beitrages schon geschrieben, dass ich das natürlich nicht so streng bewerte und habe übrigens hier in diesem Forum vor Jahren schon geäußert, was du jetzt schreibst: die Struktur muss irgendwie verständlich und nachvollziehbar sein. Das würde ich beispielsweise auch gelten lassen, wenn man jeden Info-Kasten pauschal mit einer h6 überschreibt, weil die Beziehungen wie von dir dargestellt dann immer passen, egal was vorher für eine Überschrift verwendet wurde. Es macht dann sogar wieder für SR-Nutzerinnen Sinn, wenn sie bemerkt haben, dass die womöglich besonders interessanten Infos in den Boxen immer und auf jeder Seite in einem Webangebot durch Anspringen der 5. Überschriftenebene gefunden werden können. Mir ist Konsistenz besonders wichtig. In der Hoffnung, dass diese hilfreich ist.

Ich würde nur nicht sagen, dass man das aus dem normativen Text der WCAG heraus lesen kann. Der Grund dafür ist, dass Sehende das Auslassen von Ebenen nicht erkennen können. Visuell kommunizieren wir in der Regel, dass die erste, größte Überschrift die wichtigste ist und die erste Überschrift darunter dann die nächste Ebene.

Nur wir sollten (und können das auch getrost) dazu stehen, dass wir kein fail geben, sondern ein eher erfüllt, weil das Auslassen einer Ebene im echten Leben keinen großen Unterschied macht und keine ernsthafte Barriere ist. Es wäre dann ein begründetes bestanden, obwohl man das nicht aus der WCAG rauslesen kann.

Klingt für mich plausibler, ehrlicher, sympathischer und selbstbewusster als in den understanding-Dokumenten nach einer nachgereichten Entschuldigung für ein Durchwinken zu suchen. Aber das ist wohl auch Ansichtssache und geht schon in Richtung Befindlichkeiten.

Ganz klar: Im Endeffekt laufen beide Ansätze natürlich auf dasselbe raus.

MarcHaunschild commented 2 months ago

Offenbar ist die Sache doch nicht so eindeutig, wie ich dachte. 😉 Wenn man annimmt, dass es nur darum geht, dass die Beziehungen erkennbar sind, macht das was du und TPGI sagen Sinn. Wenn man sich darauf bezieht (was ich vielleicht aufgrund der fortgeschrittenen Stunde überbewertet habe), dann müsste das, was Stehende Nutzerinnen tatsächlich wahrnehmen auch ausgezeichnet werden. In deinen Beispielen sehen sie wohl immer: H1, H2 usw. Das alles ist aber eine eher akademische Frage. Ich denke wir alle (mich eingeschlossen) lassen Seiten nicht durchfallen, wenn da mal was nicht optimal läuft. Die akademische Frage war übrigens nicht, ob Nutzer ein Problem mit ausgelassenen Ebenen haben, sondern ob man sagt,