Das Parlamentarier-Rating 2023 zeigt eine starke Polarisierung im Nationalrat: Die Öko-Parteien werden linker, die SVP rechter
Nikolai Thelitz (Text),
Andrin Engel (Grafiken)
Zwei Wochen vor den nationalen Parlamentswahlen zeigt sich: Die Parteien im Nationalrat sind so stark polarisiert wie noch nie. Als neue Polpartei haben sich in den vergangenen Jahren die Grünen etabliert, die nun deutlich links der SP stehen. Auch die Grünliberalen sind nach links gewandert. Die SVP hingegen rückt weiter nach rechts, wenn auch nur ein wenig.
Für das NZZ-Parlamentarier-Rating 2023 wurden die Nationalrätinnen und Nationalräte anhand ihres Stimmverhaltens im Rat auf einer Links-rechts-Skala positioniert, welche von –10 bis 10 reicht.
Mehr Parteidisziplin
Wie die Berechnungen zeigen, hat in gewissen Parteien die Geschlossenheit deutlich zugenommen. So haben die Grünen in der vergangenen Legislatur viel geschlossener gestimmt als noch in jener zuvor, und dies obwohl die Partei nun 28 statt 11 Mitglieder im Rat stellt. Diese sind nun ähnlich stramm auf Linie wie die Sozialdemokraten, bei denen sich diese Einigkeit schon länger zeigt.
Auch bei der FDP ist das Stimmverhalten geschlossener. Bei der SVP ist der Fall weniger klar, die Partei wies in der Vergangenheit die grösste Vielfalt an Positionen auf, eine vorübergehend erkennbare Parteilinie ist nun aber wieder weniger deutlich.
Kaum Überschneidungen
Resultat dieser Stimmdisziplin ist, dass es unter den Parteien kaum noch Überlappungen gibt. Sämtliche Grüne (mit einigen Vertretern kleiner Linksparteien in der Fraktion) positionieren sich links der SP. Nur ein Mitte-Vertreter (Fabio Regazzi) steht etwas rechter als die linksten Freisinnigen. Und die drei EVP-Vertreter liegen eher auf Linie der Grünliberalen als auf jener der Fraktionspartnerin (Mitte).
Innerhalb der Parteien sind trotzdem zum Teil spannende Unterschiede festzustellen:
SVP
Rechtsaussen im Parlament ist Pirmin Schwander zu finden. Der Schwyzer wurde in der Vergangenheit bereits als der rechteste Vertreter in der grossen Kammer klassifiziert (Rating dieses Jahr: 9,7). Gesellschaft bekommt er nun von seinem Berner Parteikollegen Erich Hess: Der SVP-Zampano mit dem markanten Kurzhaarschnitt schreckt vor Provokationen nicht zurück und sass zeitweise in drei Parlamenten gleichzeitig. Auch Lukas Reimann und Yvette Estermann gehören dem Grüppchen an, das sich innerhalb der SVP etwas nach rechts abgesetzt hat. Gleich dahinter folgt der Fraktionschef Thomas Aeschi (Rating: 9).
Gemässigter ist da Thomas Hurter, der linkste SVP-Vertreter im Nationalrat. Der Sicherheitspolitiker und ehemalige Kampfjetpilot kommt auf einen Wert von 6,4. Ähnlich moderat positioniert ist der Parteipräsident Marco Chiesa (6,5).
Grüne
Anders als bei der SVP zählt der Parteipräsident bei den Grünen nicht zu den Gemässigten, sondern als der Hardliner schlechthin. Balthasar Glättli ist mit einem Rating von –9,1 der linkste Nationalrat überhaupt. Gleich darauf folgen die Fraktionschefin Aline Trede und der Kommunist Denis de la Reussille (Rating jeweils –9).
Der einzige Vertreter der Partei der Arbeit, der mit den Grünen in einer Fraktion ist, war bis im April 2023 Stadtpräsident von Le Locle. In seinem Büro hing standesgemäss ein Porträt von Che Guevara. Fast wäre de la Reussille Profifussballer geworden, eine Saison lang spielte er für den FC Le Locle in der Nationalliga B. Nun politisiert er in der Grünen-Fraktion ganz links aussen.
Die moderateste Grüne ist die Berner Bauerntochter Christine Badertscher (Rating: –7,7). Die 2019 gewählte Agronomin sieht sich selbst als Brückenbauerin zu den Bürgerlichen und lehnte die von ihrer Partei unterstützte Trinkwasser-Initiative ab. Auf sie folgt der Umweltwissenschafter Bastien Girod (Rating: –8,2).
Mitte
Die Mitte-Partei macht ihrem Namen alle Ehre, das durchschnittliche Rating ihrer Mitglieder liegt jedes Jahr mehr oder weniger auf der Nulllinie.
In der Partei, die aus der Fusion von CVP und BDP entstanden ist, steht der Solothurner Nationalrat Stefan Müller-Altermatt ganz links (–0,8), Fabio Regazzi aus dem Tessin ganz rechts (1,3). Der Parteichef Gerhard Pfister und der Fraktionschef Bregy liegen mit 0,2 in der Mitte.
FDP
Bei den Freisinnigen sind der Waadtländer Laurent Wehrli und die Bündnerin Anna Giacometti am weitesten links (1,0) einzuordnen. Dem linken Flügel gehören auch die beiden bekannten FDP-Frauen Doris Fiala und Christa Markwalder an.
Auf der rechten Seite stehen beispielsweise Christian Wasserfallen (2,7) oder der Unternehmer Marcel Dobler (2,5). Der Parteichef Thierry Burkart war vor seiner Wahl in den Ständerat vor vier Jahren ebenfalls weit rechts zu finden, der Fraktionspräsident Damien Cottier ist in der Mitte der Partei zu Hause (1,7).
GLP
Auch die Grünliberalen treten im Nationalrat geeint auf, ihre Ratings liegen zwischen –2,9 (Céline Weber) und –3,8 (Roland Fischer).
Die Fraktionschefin Tiana Angelina Moser ist mit einem Rating von –3,7 eher links einzuordnen, der Parteichef Jürg Grossen in der Mitte (–3,4). Der GLP-Gründer Martin Bäumle steht parteiintern eher rechts (–3).
SP
Bei den Sozialdemokraten sind die Unterschiede klein. Zwischen Ada Marra (–7,6) und Gabriela Suter (–6,5) reihen sich sowohl die Co-Parteileitung Meyer/Wermuth sowie die neue Co-Fraktionsleitung Bendahan/Marti unauffällig ein.
Auch die meisten Bundesratskandidaten sind keine Flügelspieler. Nordmann, Aebischer und Pult erreichen Ratings zwischen –9,6 und –7,1. Jans wurde vor seiner Wahl in den Basler Regierungsrat 2020 mit –6,9 bewertet. Nur Daniel Jositsch war damals wie heute deutlich rechts der SP-Linie positioniert, vor seiner Wahl in den Ständerat lag sein Rating bei –5,6.
Zur Methode: Das Nationalrats-Rating wird mit der Methode «DW Nominate» berechnet. Diese wurde für den amerikanischen Kongress entwickelt und bildet die ideologische Ausrichtung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf einer Skala von –10 (links) bis 10 (rechts) ab, ohne dass die einzelnen Abstimmungen bewertet werden müssen. Die Ratingwerte werden durch den paarweisen Vergleich der einzelnen Politiker berechnet. Je grösser die Übereinstimmung im Abstimmungsverhalten ist, desto näher sind sich die Mitglieder. Das Modell bildet zusätzlich lineare Veränderungen in der Positionierung ab, die einen zeitlichen Vergleich der Positionen einzelner Parlamentarier erlauben.
Das vollständige Parlamentarier-Rating mit den Bewertungen aller Nationalrätinnen und Nationalräte auf
DW-NOMINATE scores: https://en.wikipedia.org/wiki/NOMINATE_(scaling_method) Source: https://www.nzz.ch/schweiz/parlamentarier-rating-2023-die-oeko-parteien-werden-linker-die-svp-rechter-ld.1759382?reduced=true
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Das Parlamentarier-Rating 2023 zeigt eine starke Polarisierung im Nationalrat: Die Öko-Parteien werden linker, die SVP rechter
Nikolai Thelitz (Text),
Andrin Engel (Grafiken)
Zwei Wochen vor den nationalen Parlamentswahlen zeigt sich: Die Parteien im Nationalrat sind so stark polarisiert wie noch nie. Als neue Polpartei haben sich in den vergangenen Jahren die Grünen etabliert, die nun deutlich links der SP stehen. Auch die Grünliberalen sind nach links gewandert. Die SVP hingegen rückt weiter nach rechts, wenn auch nur ein wenig.
Für das NZZ-Parlamentarier-Rating 2023 wurden die Nationalrätinnen und Nationalräte anhand ihres Stimmverhaltens im Rat auf einer Links-rechts-Skala positioniert, welche von –10 bis 10 reicht.
Mehr Parteidisziplin
Wie die Berechnungen zeigen, hat in gewissen Parteien die Geschlossenheit deutlich zugenommen. So haben die Grünen in der vergangenen Legislatur viel geschlossener gestimmt als noch in jener zuvor, und dies obwohl die Partei nun 28 statt 11 Mitglieder im Rat stellt. Diese sind nun ähnlich stramm auf Linie wie die Sozialdemokraten, bei denen sich diese Einigkeit schon länger zeigt.
Auch bei der FDP ist das Stimmverhalten geschlossener. Bei der SVP ist der Fall weniger klar, die Partei wies in der Vergangenheit die grösste Vielfalt an Positionen auf, eine vorübergehend erkennbare Parteilinie ist nun aber wieder weniger deutlich.
Kaum Überschneidungen
Resultat dieser Stimmdisziplin ist, dass es unter den Parteien kaum noch Überlappungen gibt. Sämtliche Grüne (mit einigen Vertretern kleiner Linksparteien in der Fraktion) positionieren sich links der SP. Nur ein Mitte-Vertreter (Fabio Regazzi) steht etwas rechter als die linksten Freisinnigen. Und die drei EVP-Vertreter liegen eher auf Linie der Grünliberalen als auf jener der Fraktionspartnerin (Mitte).
Innerhalb der Parteien sind trotzdem zum Teil spannende Unterschiede festzustellen:
SVP
Rechtsaussen im Parlament ist Pirmin Schwander zu finden. Der Schwyzer wurde in der Vergangenheit bereits als der rechteste Vertreter in der grossen Kammer klassifiziert (Rating dieses Jahr: 9,7). Gesellschaft bekommt er nun von seinem Berner Parteikollegen Erich Hess: Der SVP-Zampano mit dem markanten Kurzhaarschnitt schreckt vor Provokationen nicht zurück und sass zeitweise in drei Parlamenten gleichzeitig. Auch Lukas Reimann und Yvette Estermann gehören dem Grüppchen an, das sich innerhalb der SVP etwas nach rechts abgesetzt hat. Gleich dahinter folgt der Fraktionschef Thomas Aeschi (Rating: 9).
Gemässigter ist da Thomas Hurter, der linkste SVP-Vertreter im Nationalrat. Der Sicherheitspolitiker und ehemalige Kampfjetpilot kommt auf einen Wert von 6,4. Ähnlich moderat positioniert ist der Parteipräsident Marco Chiesa (6,5).
Grüne
Anders als bei der SVP zählt der Parteipräsident bei den Grünen nicht zu den Gemässigten, sondern als der Hardliner schlechthin. Balthasar Glättli ist mit einem Rating von –9,1 der linkste Nationalrat überhaupt. Gleich darauf folgen die Fraktionschefin Aline Trede und der Kommunist Denis de la Reussille (Rating jeweils –9).
Der einzige Vertreter der Partei der Arbeit, der mit den Grünen in einer Fraktion ist, war bis im April 2023 Stadtpräsident von Le Locle. In seinem Büro hing standesgemäss ein Porträt von Che Guevara. Fast wäre de la Reussille Profifussballer geworden, eine Saison lang spielte er für den FC Le Locle in der Nationalliga B. Nun politisiert er in der Grünen-Fraktion ganz links aussen.
Die moderateste Grüne ist die Berner Bauerntochter Christine Badertscher (Rating: –7,7). Die 2019 gewählte Agronomin sieht sich selbst als Brückenbauerin zu den Bürgerlichen und lehnte die von ihrer Partei unterstützte Trinkwasser-Initiative ab. Auf sie folgt der Umweltwissenschafter Bastien Girod (Rating: –8,2).
Mitte
Die Mitte-Partei macht ihrem Namen alle Ehre, das durchschnittliche Rating ihrer Mitglieder liegt jedes Jahr mehr oder weniger auf der Nulllinie.
In der Partei, die aus der Fusion von CVP und BDP entstanden ist, steht der Solothurner Nationalrat Stefan Müller-Altermatt ganz links (–0,8), Fabio Regazzi aus dem Tessin ganz rechts (1,3). Der Parteichef Gerhard Pfister und der Fraktionschef Bregy liegen mit 0,2 in der Mitte.
FDP
Bei den Freisinnigen sind der Waadtländer Laurent Wehrli und die Bündnerin Anna Giacometti am weitesten links (1,0) einzuordnen. Dem linken Flügel gehören auch die beiden bekannten FDP-Frauen Doris Fiala und Christa Markwalder an.
Auf der rechten Seite stehen beispielsweise Christian Wasserfallen (2,7) oder der Unternehmer Marcel Dobler (2,5). Der Parteichef Thierry Burkart war vor seiner Wahl in den Ständerat vor vier Jahren ebenfalls weit rechts zu finden, der Fraktionspräsident Damien Cottier ist in der Mitte der Partei zu Hause (1,7).
GLP
Auch die Grünliberalen treten im Nationalrat geeint auf, ihre Ratings liegen zwischen –2,9 (Céline Weber) und –3,8 (Roland Fischer).
Die Fraktionschefin Tiana Angelina Moser ist mit einem Rating von –3,7 eher links einzuordnen, der Parteichef Jürg Grossen in der Mitte (–3,4). Der GLP-Gründer Martin Bäumle steht parteiintern eher rechts (–3).
SP
Bei den Sozialdemokraten sind die Unterschiede klein. Zwischen Ada Marra (–7,6) und Gabriela Suter (–6,5) reihen sich sowohl die Co-Parteileitung Meyer/Wermuth sowie die neue Co-Fraktionsleitung Bendahan/Marti unauffällig ein.
Auch die meisten Bundesratskandidaten sind keine Flügelspieler. Nordmann, Aebischer und Pult erreichen Ratings zwischen –9,6 und –7,1. Jans wurde vor seiner Wahl in den Basler Regierungsrat 2020 mit –6,9 bewertet. Nur Daniel Jositsch war damals wie heute deutlich rechts der SP-Linie positioniert, vor seiner Wahl in den Ständerat lag sein Rating bei –5,6.
Zur Methode: Das Nationalrats-Rating wird mit der Methode «DW Nominate» berechnet. Diese wurde für den amerikanischen Kongress entwickelt und bildet die ideologische Ausrichtung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf einer Skala von –10 (links) bis 10 (rechts) ab, ohne dass die einzelnen Abstimmungen bewertet werden müssen. Die Ratingwerte werden durch den paarweisen Vergleich der einzelnen Politiker berechnet. Je grösser die Übereinstimmung im Abstimmungsverhalten ist, desto näher sind sich die Mitglieder. Das Modell bildet zusätzlich lineare Veränderungen in der Positionierung ab, die einen zeitlichen Vergleich der Positionen einzelner Parlamentarier erlauben.
Das vollständige Parlamentarier-Rating mit den Bewertungen aller Nationalrätinnen und Nationalräte auf
nzz.ch/schweiz
Aus dem E-Paper vom 09.10.2023